Cover des gedruckten Buches Einmarsch französischer Truppen, Waldstraße, 4. April 1945, Stadtarchiv Karlsruhe 8/Alben 5 Bd.7, S. 703
   

3. Auswertung und Dokumentation

3.9

Anhang – „Die Franzosen sind da!“

 

„Panzeralarm! Mittags um 13.30 Uhr war Panzeralarm. Die Sirene erschallt, die Glocken läuteten. Nun war es soweit. Alles war durcheinander, keiner wußte, was man tun sollte. Viele weinten, sahen sich hilflos an, man war eben nicht gefaßt. Soldaten mußten ihre Stellungen einnehmen, denn es hieß, Mörsch müsse verteidigt werden,“ so berichtet Maria Schneider in ihren Aufzeichnungen über die ersten Stunden der Kampfwoche.

Und noch heute ist dem damals 10jährigen Gebhard Becker die Stunde im Gedächtnis: „ An einem schönen Frühlingstag erhob zu unser aller Entsetzen die totgeglaubte Glocke ihre eherne Stimme und der Ortslautsprecher – über den normalerweise die Sondermeldungen über die militärischen Erfolge von den verschiedenen Kriegsschauplätzen gesendet wurde – verkündet das Unfaßbare: ,Panzeralarm‘. In meinem Alter war mir überhaupt nicht bewußt, daß Panzeralarm gleichbedeutend ist mit: Invasion, Zusammenbruch des Staatsgefüges, Besatzung, Kampf, Willkür, Rechtlosigkeit ... Tod!

Zunächst begaben wir uns in unseren Minibunker in unserem Garten. ... Dann hörte man Granat-, Gewehrfeuer und Panzergeschosse. Die Eingangstür zu unserem Erdstollen war nicht geschlossen. So blickten wir in nur ca. 30 cm Entfernung auf den vorbeigehenden Gartenweg. Plötzlich sahen wir darauf diverse Fußpaare vorbeihuschen, braune Wickel- und Knopfgamaschen, eine Fußbekleidung, die wir bisher nicht kannten. Die Franzosen waren da.“

So und ähnlich erlebten die meisten die „Befreiung“. Während in Forchheim nicht geschossen wurde, gab es in Mörsch Straßenkämpfe. In der Nähe des Friedhofes wurden zwei Panzer abgeschossen. Am 4. und 5. April ist die Mörscher Bevölkerung im Keller dem Geschehen hilflos ausgeliefert.

Edwin Burkart als damals 16jähriger berichtet: „Unser Haus stand am Südrand des damaligen Dorfes. Direkt hinter unserem Anwesen zogen sich die von deutschen Truppen besetzten Bunker- und Feldstellungen hin. Als sich der Gefechtslärm näherte, standen mein Vater und ich vor unserem Haus, als dort eine Granate einschlug und sowohl meinen Vater als mich verletzte. Noch heute (1985) befindet sich von dieser Verletzung ein Splitter in meinem Arm. Wir eilten zu den deutschen Soldaten, die uns zum Sanitätsbunker schickten. Die Sanitäter wiesen uns aber gleich weiter, da die Kampfhandlungen bedrohlich zu werden drohten.

Schon kurz nach der Rückkehr zu unserem Haus beobachteten wir vorbeigehende Franzosen. Zwei von ihnen kamen an der Ecke unseres Hauses vorbei und riefen den deutschen Soldaten etwas zu – wohl die Aufforderung zur Übergabe – sie fielen jedoch im deutschen Abwehrfeuer.

Da unser Hauseingang dem Bunker zugewandt war, begann für uns nun eine Zeit im Keller, in der die Franzosen infolge des deutschen Feuers nicht zu uns herein, wir aber auch nicht hinauskommen konnten. Im Laufe des Tages setzte dann deutsches Artilleriefeuer ein, von dem mein Vater sagte, es sei schlimmer, als er es einst bei Verdun im Ersten Weltkrieg erlebt habe. Diese Beschießung verursachte schwere Zestörungen, denen auch große Teile unseres Anwesens zum Opfer fielen.“

Ebenso berichtet Gebhard Becker: „Eine Zeit später aber schien es, als sei der Vormarsch der Franzosen gestoppt, es begann verstärktes Artilleriefeuer. Der Artilleriebeschuß war derartig stark, daß ich Menschen beten hörte, die ich noch nie in der Kirche gesehen hatte. Dreimal glaubte ich, das Ende unseres Lebens sei gekommen: Vom Kellerraum,in dem wir uns befanden, bis zu unserem Anwesen waren es gerade 2 m. Durch kleinste Ritzen der Taglöcher jagte es Erde und trockenen Speis; dies war die Folge einschlagender Artilleriegeschosse. Es war für mich der grauenvollste Nachmittag meines Lebens. Die Fliegeralarmnächte und später folgende Jagdbomber-Angriffe waren nicht in meiner unmittelbaren Nähe und deshalb längst nicht so grauenvoll wie dieser Angriff auf mein Vaterhaus.“

Die Franzosen befahlen, daß sich alle Männer zwischen 16 und 65 Jahren zu versammeln hätten und wählten dann 50 Geiseln aus, die sie im „Eiskeller“ des „Ochsen“ inhaftierten, mit der Drohung, diese zu erschießen, wenn von Zivilisten auf die Franzosen geschossen würde. Man erkennt an diesem von den Franzosen überall angewandten Verfahren deren Furcht vor dem „Werwolf“, der angedrohten, aber nicht verwirklichten NS-Untergrundbewegung. Die Franzosen kannten aber auch das Rezept, wie man Partisanen wirkungsvoll bekämpft, aus der eigenen gegensätzlichen Erfahrung im Untergrundkampf der „Résistance“.

Am 7.4. vereinbarten dann die deutschen und französischen Truppen eine Waffenruhe, während derer die Bevölkerung evakuiert werden sollte und die auch im wesentlichen eingehalten wurde. Allerdings berichten Zeugen, daß die Franzosen ihrerseits den Waffenstillstand dazu benutzten, unter der Deckung der flüchtenden Zivilbevölkerung Nachschub vorzuziehen.

„Am anderen Tage erfuhren wir (so setzt E. Burkart seinen Bericht fort) durch Rufe – immer noch eingesperrt zwischen den Fronten – nur zufällig und sehr spät – von der Evakuierung auf Anordnung der Franzosen und schlossen uns ihr an. Dabei mußten wir aus dem Hauseingang heraus und wurden sicher dabei von den deutschen Soldaten beobachtet, die aber nicht schossen.

Eine Reihe von Zivilisten bewegte sich in Richtung Forchheim; dabei geriet ein Viehfahrzeug auf Minen und es gab Verletzte, andere lagen schon am Weg und bluteten stark. Die Explosion löste eine Panik aus und viele flohen über die Felder Richtung Epple-Kieswerk. Es war ein ausgesprochenes Glück, daß niemand auf Minen lief, denn die dortigen Felder waren vermint. Dies weiß ich, weil ich später selbst bei der Räumung der Minen dabei war.“

Auf diese Weise hatten sich die Mörscher Einwohner zum Forchheimer Gut und dann zur Heidenstücker-Siedlung, die Neuburgweierer und Forchheimer nach Daxlanden zu begeben.

Im Forchheimer Gut ereignete sich dann ein Drama, das zu einer Katastrophe hätte werden können. E. Burkart berichtet: „Dort erlebte ich die Erschießung des Zahlmeisters Keibs mit. Drei Polen, bewaffnet mit Gewehren, waren aus dem Wald gekommen und suchten sich ihre Opfer aus. Einer der Polen war uns gut bekannt, denn er hatte während des Krieges als Kriegsgefangener im Dorf gearbeitet, er hieß Anton mit Vornamen. Diese Polen griffen sich drei Personen, darunter eine Frau, heraus und stellten sie an die Wand. Ich erinnere mich noch ganz genau, wie diese Frau zu Anton sagte: ,Was habe ich dir denn je getan, Anton?‘ Die Frau und einer der Männer wurden schließlich freigelassen. Aus etwa 5 m Entfernung erschoß dann einer der Polen den Zahlmeister Keibs, wobei er die Waffe sehr ungeschickt bediente. Der Erschossene galt als ein ruhiger Mann, dem eine Gewalttat eigentlich nicht zuzutrauen war.“

Auch Maria Schneider berichtet in ihrem Tagebuch: „Am Morgen gab es noch eine Aufregung ... Keibs wurde von den Ausländern erschossen, während Kastner Markus und Frau Stiefvater durch guten Willen der Ausländer befreit wurden.“

Dieses Ereignis hätte noch unabsehbare Folgen haben können. Der damals 16jährige H. Kraft berichtet, daß er in St. Johann Frau Stiefvater gesehen habe. Sie war in Panik mit ihren Kindern durch den verminten Wald geflohen und dort auf deutsche Truppen getroffen, bei denen sich ein deutscher General befand. Sie berichtete diesen über das Vorgefallene. Der deutsche General ließ sich von den Volkssturmmännern über die örtliche Lage berichten und beauftragte Kraft, der sich dort gut auskannte, weil sein Vater im Hardtwald oft als Jagdpächter unterwegs war, die Möglichkeit eines Vorgehens gegen diese Drangsalierungen im Tabakgut zu erkunden. So wurde dieser Junge – allein, mit Gewehr und Handgranaten – als Späh„trupp“ ausgesandt. Der junge Kraft konnte sich bis 200 m an sein Elternhaus an der Gaststätte „Waldfrieden“ heranarbeiten und die Lage beobachten. Er kehrte befehlsgemäß zurück und meldete, daß nach der Feindlage durchaus eine Möglichkeit zum Vorgehen bestünde. Es wurde auch ein Stoßtrupp von ca. 60 Mann zusammengestellt, jedoch kam das Unternehmen nicht zur Ausführung, da die Meldung vom Durchbruch der Franzosen im Albtal eine Durchführung nicht mehr erlaubte.

Von einem ganz anders gearteten unfreiwilligen Spähtrupp berichtet E. Burkart: „Am anderen Tage (7.4.) wurde das Forchheimer Gut, in dem wir lagen, beschossen. Ich bin nach der ganzen Geschoßart sicher, daß es sich dabei um französische Granatwerfer handelte, von denen ich später auch einige in der Nähe sah. Wir machten uns auf den Weg nach Norden, doch plötzlich erschien aus dem Hardtwald eine etwa 100 Mann starke Gruppe französischer Infanterie. Sie holte einen älteren Herrn und mich aus der Gruppe heraus, und wir mußten nun mit dieser Einheit wieder am Hofgut vorbei nach Süden marschieren. Auf dem Gelände des Epple-Kieswerkes wurden noch einige Mörscher Bürger aufgegriffen. Ein Elsässer begrüßte die französischen Truppen freudestrahlend – er hatte bisher in Mörsch gelebt –, wurde aber nach kurzer Unterhaltung von den Franzosen verprügelt. Sie nahmen wohl an, einen Verräter entdeckt zu haben.

Die Franzosen fragten mich schließlich, wo die deutschen Bunker lägen. Obwohl ich dies wußte, behauptete ich, diese nicht zu kennen. Wir zogen dann entlang der Bahnlinie zwischen der Straße Ettlingen-Forchheim und Ettlingen-Mörsch weiter und erreichten so die Straße Ettlingen-Mörsch.

Dort setzte mir ein französischer Offizier seine Pistole an die Schläfe und befahl mir, Richtung Durmersheim im Walde weiterzugehen. Sollte ich zu fliehen versuchen, so würden ich und die anderen Deutschen erschossen werden. So schritt ich 20 m voran, dann folgte ein weiterer Mörscher und wieder mit 20 m Abstand die ganze Gruppe in Gefechtsformation. Die restlichen 3–4 Mörscher Bürger wurden am Waldrand zurückgehalten und bewacht.

Wie man mir befohlen hatte, ging ich den Weg entlang, der vermint war. Ich erkannte dies an den frischen Stellen auf dem Wege und blieb dort jeweils stehen. Die Franzosen forderten mich jedoch jedesmal drohend auf, weiterzugehen und ich sprang dann über die gefährlichen Stellen hinweg.

So kamen wir schließlich auf die deutschen Bunkerstellungen südlich der Straße. Ich war bereits an einem deutschen Wachtposten seitlich vorbei, der mich eigentlich hätte kommen sehen müssen, der aber unaufmerksam vor sich hindöste. So überraschten ihn die Franzosen, und er wurde bei dem sofort einsetzenden Feuergefecht getroffen und sank zu Boden. Vermutlich war er tot, denn er rührte sich nicht mehr. Später fand sich an dieser Stelle ein Grab. Die Schüsse alarmierten die Bunkerbesatzung, die in die Feldstellungen sprang. Ich selbst war bei den Schüssen seitlich des Weges in Deckung gegangen. Etwa 10 m vor mir lagen die deutschen Soldaten in Stellung, hinter mir die Franzosen. Ein deutscher Feldwebel rief mir zu, ich solle zu ihm hineinspringen. Die Franzosen hinter mir brüllten ,Zivil zurück!‘ Da ich fürchten mußte, daß meine Landsleute als Geiseln erschossen würden, wenn ich zu den Deutschen vorwärtsspringen würde, entschloß ich mich, zu den Franzosen zurückzukehren. Es entwickelte sich zum Glück kein großes Feuergefecht. Die Franzosen zogen sich sofort zurück. Sie wollten wahrscheinlich ohnehin nur die Lage der deutschen Befestigungen erkunden.

Die Franzosen ließen uns Mörscher dann laufen, und ich ging nun den Weg noch einmal zurück zum Forchheimer Gut und dann zur Heidenstücker-Siedlung.

Später wurde ich noch einige Male von den Franzosen geschnappt, die mich zwangen, Munition zu entladen und auch – wie oben gesagt – Minen zu räumen. Allmählich lernte ich dann den Brauch, sich rechtzeitig zu drücken.“

Nur wenige Zivilisten blieben gegen den Evakuierungsbefehl zurück und unter ihnen gab es dann auch Tote.

Gerhard Becker erinnert sich: „Die Evakuierung wurde konsequent durchgeführt, dafür wurde mit der deutschen Seite eine Feuerpause vereinbart. Einige ältere Menschen haben die Maßnahme mißachtet und wollten nicht einsehen, daß ihnen Gewalt widerfahren könnte an Leib und Leben. In der ehemaligen Sophienstraße in Mörsch hatten wir so einen Fall. In Haus Nr. 3 wohnte im Erdgeschoß ein älterer Mann, er weigerte sich zu ,flichdä‘! Als wir nach der Evakuierung wieder zurückkamen, fand man ihn am Legel, Gewann Krautgärten, mit einer schweren Kopfschußwunde. Das war ca. 60–70 m von seinem Haus entfernt. Wie er dorthin kam, ob von Deutschen oder Franzosen, oder wer ihm den tödlichen Schuß gegeben hat, wird immer ein Rätsel bleiben!“

Die Flüchtenden mußten dann von Daxlanden und den Heidenstücker-Siedlungen den Untergang Mörschs miterleben: „Diese Nacht war furchtbar! Vom Obergeschoß dieses Hauses (Forlenweg 18, Stadtrandsiedlung) sahen wir in Richtung Mörsch den Himmel taghell erleuchtet! Es wurde diskutiert – ,das kann Forchheim sein; nein, Forchheim liegt viel mehr westlich von unserem Standpunkt aus‘ ... So ging die Rede der Verzweifelten und Mutmaßenden hin und her. Schließlich wurde nicht mehr gemutmaßt, es war allen klar – Mörsch war dem Erdboden gleichgemacht!!!“

Während um Mörsch und auch Neuburgweier Angriff und Gegenangriff wechselte und beide Seiten mit Artillerie und Panzerkanonen sich bekämpften, traf Forchheim ein weniger hartes Los. Das Pfarrhaus und das Anwesen Bätz wurden zerstört. Der Buchbinder Leibold mußte aus 50 m Entfernung zusehen, wie sein Geschäft niederbrannte. Die Franzosen ließen ihn nicht in den Brandbereich passieren und er konnte auch nie erfahren, ob Granaten, Brandstiftung oder was auch immer die Brandursache war.

Marianne Scheider schreibt: „Am 12. April hieß es, wer noch ein Dach über dem Kopf hat, kann heimgehen. Mit oder ohne Dach, jeder wollte heim ... Wir wanderten die Landstraße entlang, Richtung Mörsch. Das galt eher einem Begräbnis als einer Heimkehr ... Unsere eigenen Soldaten haben Mörsch in Schutt und Asche gelegt, alles zusammengeschossen. Diese verdammten SS-Kerle, man darf nicht daran denken, sonst steigt ein Zorn in einem auf ... Mörsch wurde mit Brandgranaten beschossen. Unzählige Häuser mit allem Drum und Dran wurden Opfer eines unsinnigen Krieges ... Jetzt erst begann für uns alle die riesige Not. Pfarrer Allgaier mußte mit uns durchhalten. Jetzt war auch das Letzte von ihm gefordert worden. Er wurde zum Bürgermeister eingesetzt.“ Die Verfasserin unterliegt hier einem Irrglauben. Wo immer Widerstand geleistet wurde, vermutete man dahinter SS. Jedoch gab es im gesamten Bereich der 19. Armee von Basel bis Karlsruhe keine SS-Einheit.

Soweit ein kleiner Querschnitt durch die entsetzlichen Tage. Die Kämpfe um Mörsch und Neuburgweier kosteten über 100 Menschen allein auf deutscher Seite das Leben. Die französischen Verluste sind nicht bekannt, waren aber auch hoch. Über 120 Gebäude wurden total zerstört, viele mehr oder weniger beschädigt. Das menschliche Leid von Verwundeten, Hinterbliebenen und Geschädigten kann man nicht in Zahlen und Worten ausdrücken.

 
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Kriegsende 1945 | Zeitzeugen der Karlsruher Region erzählen | Letzte Änderung: 30. März 1997
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